Fides Becker – Verheissungen

Die Welten der Fides Becker entziehen sich. Sie betören, sie verlocken und verführen; sie werben und versprechen, sie umgarnen den Betrachter mit zarter Transparenz, kokettieren mit eleganten Mustern, raffinierten Schichtungen und Durchdringungen. Ihr märchenhafter Zauber weckt die Lust des Auges auf mehr. Doch dann entziehen sie sich. Wie die Weihnachtsdekorationen in Schaufenstern, die aus der Ferne gleissendes Glück scheinen und sich, hat man erst die Nase am Fenster, als das übliche Warenangebot mit etwas Kunstschnee und Lametta darüber erweisen.

Fides Becker geht weit raffinierter und anspruchsvoller vor, als ein Schaufensterdekorateur. Sie versprüht nicht nur ein wenig falschen Märchenglanz, sie erschafft mit leichten Temperafarben oder transparentem Aquarell erlesene Welten, die aus dem reichen Fundus der Kulturgeschichte schöpfen und löst diese Welten gleichzeitig wieder auf. Weiche Betten und majestätische Lüster verflüssigen sich buchstäblich und rinnen in Farbspuren über die Leinwand. Festliche Rokoko-Roben verflüchtigen sich vor Tapetenblüten und Gläsertuchkaros. Virtuos spielt Fides Becker mit Mustern und Ornamenten. Sie näht gemusterte Stoffe auf die Leinwand, malt von Hand Ornamente darüber. So entstehen vertrackte Schichtungen und vieldeutige Samples, die den Betrachter auf visueller wie auf inhaltlicher Ebene ansprechen. Barocke Schäferstündchen werden in «Mondlicht» zum Stilmix-Picknick mit Chinoiserie-Schirmchen und lässig gegenwärtiger Sportkleidung, in der «Brustrosette» löst eine menschliche Brust sich in einem Stuckornament auf. Das Dekor verschlingt den Dekorateur. «Verheissungen» nennt Fides Becker ihre Auswahl aktueller Arbeiten. Eine Verheissung ist weit mehr als ein Versprechen. Sie hat göttliches Format. In ihr atmet jene Grösse und gefühlsbindende Gültigkeit, die vielen heute verloren scheint. Mit Reifrock und Lüster greift Fides Becker historische Motive auf, die sie mit zeitgenössischer Ästhetik koppelt. Sie interessiert besonders das durch die Bedürfnisse und Moden der Gegenwart gefilterte Historienbild des Kostümfilms, in dem die Vergangenheit als ein parfümiertes Paradies voll eitel Glück, Schönheit und Wohlstand erscheint. Wohl wissen wir, dass in der Welt von gestern nicht alle Menschen reich und sorglos waren. Und doch lockt das Vergangene mit einem Leuchten das vielen wohliger scheint als der Glanz des Neuen. Luftig, wie auf Wolken gemalt, erzählen Fides Beckers Bilder davon, aus welch substanzlosem Stoff Illusionen gewebt sind.

«Da wo du nicht bist, ist das Glück», zitiert Fides Becker auf ihrer Homepage eine venezianische Redensart. In ihren meisterhaft gemalten Bildern spürt die Künstlerin der kollektiven Sehnsucht nach dem Vergangenen nach, dem Heimweh nach einer idealen Welt. Ein Heimweh, das sich bei manchem in einem starren Festhalten an Traditionen äussert. In Fides Beckers Malerei symbolisieren die Muster – Landschaftstapeten und Blütengirlanden, Wäschekaros und militärische Camouflage – tradierte Verhaltensweisen, die einfach an die nächste Generation weitergegeben werden, und die als willkommene Verankerung aber auch als starre Begrenzung empfunden werden können. Stoffmuster werden so zu visualisierten Denkmustern. Mit der Kombination und Überlagerung verschiedener Muster spielt die Künstlerin darauf an, wie der Einzelne aus übernommenen Verhaltensweisen und eigenen Erfahrungen die Webware seiner Werte und Normen fertigt.

Fides Becker, geboren in Worms, hat an der renommierten Städelschule in Frankfurt studiert sowie an der Academie van Beeldenden Kunsten in Rotterdam und an der Hochschule der Künste in Berlin. Die Ausstellung «Verheissungen» in der Galerie DuflRaczon ist die erste Schweizer Einzelschau der Künstlerin, deren Werk bereits in namhaften Sammlungen in Deutschland, England und den Niederlanden vertreten ist.