Tarnmanöver im Tier- und Pflanzenreich sind für Roger Caillois (1913 – 1978) nicht nur Überlebensstrategien. In dem Essay Mimétisme et psychasthénie légendaire (in: Meduse et Cie.) untersucht der französische Soziologe Roger Caillois Mimikry und Flügelzeichnung von Insekten und widerspricht der darwinistischen Vorstellung, dass es sich bei den faszinierenden Zeichnungen um blosse Überlebenstricks der Natur handelt. Caillois behauptet stattdessen ein "spielerisches, zweckfreies Wirken" in der Natur. Mimesis ist für Caillois ein kreativer Akt, eine ornamentale dreidimensionale Reproduktion des Organismus im Raum. Die Mimesis ist für ihn eine subversive Entpersonifizierung verbunden mit der Auflösung von Grenzen und Identitäten.
In Anlehnung an Caillois' Essay thematisieren Christina Niederberger (CH/GB), Livia Marin (CL/GB) und Johannes Maier (D/GB) in ihrer Ausstellung in der Galerie DuflonRacz Aspekte mimetischer Anpassung. Dies geschieht inhaltlich auf individuelle Weise als auch im raumübergreifenden Zusammenspiel der Arbeiten. Subtil unterstreichen die Arbeiten die charakteristischen Ausprägungen der drei Galerieräume. Gleichzeitig bieten die verschiedenen Räume einen Interpretationskontext für das jeweilige Werk.
Mit den Mitteln der Malerei untersucht Christina Niederberger die Wirkung künstlerischer Stilelemente. Besonders interessiert sie wie die Wahrnehmung des Formenvokabulars relevanter historischer Stilrichtungen sich im Lauf der künstlerischen Moden verändert. Sie verdeutlicht dies, indem sie Elemente und Motive aus Hochkultur und populärer Bildsprache aufgreift und kombiniert und so absichtlich in Widerspruch zu den gängigen Ideologien ihrer Zeit neu interpretiert. So ersetzt sie zum Beispiel klare konstruktivistische Raster oder gestisch expressive Pinselstriche durch gemalte Spitzenbordüren, die den Bildern eine illusionistische und opulente Ornamentik verleihen. Indem sie kühle Sachlichkeit und wilde Ausdruckskraft durch spielerische Spitzenmuster ersetzt, unterwandert sie subversiv die Essenz modernistischer Malerei. Das, was vorher auf die Oberfläche der Leinwand verwiesen hat, öffnet nun die Perspektive auf einen fiktiven Raum. In anderen Bildern scheinen sich Bildmotiv und Hintergrund gegenseitig zu initiieren. Die Verschränkung zwischen ornamentalem Hintergrund und Bildgegenstand provoziert eine Verschiebung von Figur und Grund, bei der sich der eigentliche Bildgegenstand dem Betrachter entzieht.
Livia Marin setzt sich in ihren Arbeiten mit der Frage auseinander, ob ein in industrieller Massenproduktion hergestellter Gegenstand überhaupt noch als ein einzelnes Objekt gesehen werden kann. Ausgangspunkt ihres Schaffens sind oft Massenprodukte wie Tassen oder Lippenstifte, die sie in eine überraschend individuelle Form bringt. Ihre Installationen veränderter Alltagsgegenständen imitieren formal die Ästhetik der Minimal Art. In der Galerie DuflonRacz zeigt sie die Wandinstallation The Object and its Manifestation III. Die Arbeit besteht aus ungefähr 250 Gipsabgüssen zerdrückter Plastikbecher. Jeder Abguss ist ein Unikat, so wird aus den banalen Plastikbechern, die für die für die Gleichförmigkeit eines typischen Wegwerfproduktes stehen, ein einzigartiger, ein besonderer Gegenstand.
Johannes Maier instrumentalisiert in seinen Videoarbeiten bekannte kommunikative Situationen oder Formate wie Interviews, Dokumentationen und transformiert sie, indem er eine Art Metaebene einführt. Er bittet beispielsweise ein Dutzend Dolmetscher der EU zum Gruppengespräch über Simultanübersetzungen oder nimmt das Geplänkel jugendlicher Computerspieler in einem Internetcafé auf. In der Ausstellung bei DuflonRacz ist Johannes Maiers frühe Videoarbeit Sirene Sang Sie zu sehen. Sie zeigt eine Opernsängerin im roten Blazer, die am Strassenrand steht und zum Geräusch von Polizeisirenen singt. Sie nimmt den Sirenenton eines vorbeifahrenden Polizeiautos auf, variiert den Klang und entwickelt daraus ihren eigenen mimetischen Gesang.